Eigentlich sollten die Ergebnisse der aktuellen Ernährungsstudie positiv stimmen: 45 Prozent der Menschen in Deutschland gaben in der Befragung an, dass ihnen gesunde Ernährung wichtig sei. Gesund hat im Vergleich zur letzten Ernährungsstudie 2013 sogar Lecker als wichtigste Eigenschaft der Ernährung überholt. Dass der Deutsche Bauernverband e.V zum Start der Grünen Woche in einem Positionspapier ankündigte, unter anderem mit Standards zur Verbesserung der Tiergesundheit auf die veränderten Anforderungen der Verbraucher zu reagieren, scheint diese Tendenz zu bestätigen: Die sich ändernden Ansprüche der Konsumenten zwingen die Erzeuger zur Reaktion.
Also alles in Butter? Nicht ganz: Die Zahl der ernährungsbedingten Erkrankungen nimmt zu. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes ist gut die Hälfte der Frauen und etwa zwei Drittel der Männer in Deutschland übergewichtig, jeweils knapp ein Viertel davon krankhaft. Mit dem Bewusstsein für gesunde Ernährung steigt gewissermaßen das Gewicht, häufig in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß. Das ist merkwürdig – und schwer zu verdauen.
Mangelnde Kenntnisse sind nicht das Problem
An fehlenden Lebensmittel-Kenntnissen liegt das nicht. Gut 75 Prozent der Befragten gaben an, zu wissen, was zu einer gesunden Ernährung gehört. Diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis hat die Gesundheitspsychologin
Ein immer wieder zur Diskussion gestelltes Schulfach „Gesundheit“ ist an dieser Stelle also nicht das Allheilmittel. Den Umfrageergebnissen zur Folge fehlen vor allem Zeit und Ruhe, um die angestrebte Ernährung zu leben. Und das passt zum Zeitgeist: Geschwindigkeit und Effektivität sind hohe Werte und gelten in sehr vielen Bereichen als erstrebenswert. Das betrifft mitunter eben auch die Ernährung.
Wird Ernährung zum notwendigen Muss, das mit Convenience-Kost und to-go-Snacks zeitoptimiert nebenher erledigt wird?
Ein Blick in den Alltag lässt diese Befürchtung zu: Foodtrucks und Anbieter wie Foodora oder Lieferando machen den Gang ins Restaurant überflüssig und dank des zunehmenden Lebensmittel-Angebotes von Amazon und anderen Lieferservices braucht man praktisch nicht mehr zum Einkaufen zu gehen. Die Zeitersparnis ist evident. Und der Kontakt zum Rohstoff Lebensmittel nimmt ab. In vielen Supermärkten ist das Angebot von geschältem Obst beispielsweise inzwischen Standard. Wissen künftige Generationen bald nicht mehr, dass Orangen eigentlich von einer bitteren, schwer genießbaren Schale umhüllt sind?
Essen wir bald Astronauten-Nahrung?
Die Entwicklung ist ganz sicher nicht so drastisch. Viele moderne Erscheinungen haben durchaus begrüßenswerte Eigenschaften. So sind beispielsweise gerade diejenigen Foodtrucks erfolgreich, die nicht Currywurst mit Pommes anbieten sondern gesund zubereitete Gerichte mit frischen Zutaten – oftmals aus der Region. Hier bestätigen sich die in der Befragung genannten Ansprüche der Verbraucher.
Die Tendenz zu bewussterer Ernährung ist vielerorts also erkennbar. Die Zunahme von ernährungsbedingten Erkrankungen jedoch noch viel deutlicher. Und nun?
Wie lässt sich der Wunsch nach gesunder Ernährung unterstützen?
Drei Möglichkeiten der Einflussnahme stehen im Wesentlichen zur Verfügung. Zum einen setzt das Gesundheitssystem in seiner jetzigen Form die falschen Anreize. Der derzeit gültige Finanzausgleich unter den Kassen, der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), motiviert Ärzte und Kassen gewissermaßen zur medikamentösen Behandlung von Erkrankungen, die lebensstilbedingt sind, also beispielsweise durch falsche Ernährung entstehen. Statt Medikation müssen präventive Maßnahmen wie Ernährungsumstellung und Bewegung stärker belohnt werden.
Neben der Politik ist auch die Lebensmittelindustrie gefordert. Gesunde Ernährung wird einem unnötig schwer gemacht. Viele Produkte enthalten zu viel Fett und zu viel Zucker und die Angaben dazu sind auf den Verpackungen häufig unverständlich ausgewiesen oder schlecht lesbar angegeben. Hier könnte auch der Gesetzgeber Einfluss nehmen, wie es beispielsweise foodwatch fordert.
Der wichtigste Faktor ist aber der Mensch selbst. Denn mit ein bisschen Eigenverantwortung, und Achtsamkeit in der Ernährung kann man sehr viel tun, um Übergewicht und einhergehend das Risiko für Diabetes, Herzinfarkt und Rückenbeschwerden zu verringern. Oder um es als kulinarischen Imperativ zu formulieren: Kocht gesund – es schmeckt!
Prof. Dr. Anne Flothow bei der Vorstellung der Studie sehr charmant zusammengefasst:
https://youtu.be/To7HZK5Ldd4