K, C oder P – diese harten Konsonanten sind die Lieblingsbuchstaben von Conny Hagenah. Weniger schätzt sie weiche Buchstaben wie L, M, S, N oder B, die sie bis vor wenigen Jahren noch verlässlich stottern ließen. Vor allem, wenn sie am Anfang des Wortes standen. Bei Sascha Müller ist es genauso. Noch als Student vermied er es, seinen Vornamen oder sein Studienfach Wirtschaftswissenschaften auszusprechen: S und W brachten ihn immer wieder ins Stolpern.
Gute und schlechte Tage
„Es gibt gute Tage und schlechte Tage“, sagt Sascha Müller aus Bad Hersfeld in Hessen, den das Stottern seit dem Kindergartenalter über die gesamte Schulzeit hinweg begleitet hat. In der Schule vorzulesen oder Referate vorzutragen – Situationen also, die ohnehin für jeden stressig sein können –, verdarben ihm den Spaß am Sprechen. „Als mir dann aber im Studium klar wurde, dass das Sprechen später im Beruf zu meinem Alltag gehören wird, habe ich entschieden, das Thema grundlegend anzugehen“, sagt er. Auf die Kasseler Stottertherapie hingewiesen hatte ihn zuvor seine Logopädin.
2013 begann er mit der Therapie, die damals noch nicht als reine Onlinetherapie angeboten wurde. Lediglich im Rahmen der Nachsorge fand die Online-Therapie statt. Die nutzt Sascha Müller bis heute, gerade nach besonders stressigen Tagen, an denen das Stottern wieder auftreten kann. Mit viel Selbstdisziplin setzt er sich an den Computer und absolviert die Übungseinheiten im Internet, obwohl er die Stottertherapie schon vor vier Jahren beendet hat. In der Regel kann er heute sowohl in seiner beruflichen Rolle als Personalreferent, beispielsweise in Personal- oder Einstellungsgesprächen, als auch im Privatleben das Stottern kompensieren.
Was ist Stottern und wie wirkt die Stottertherapie?
Das Stottern ist eine vorwiegend genetisch bedingte Redeflussstörung, die in ihren Auswirkungen oft unterschätzt wird: „Die Betroffenen meinen, obwohl sie genau wissen, was sie sagen möchten, nicht mehr weiterzusprechen können. Das hat erhebliche psychologische Folgen und wirkt sich nicht nur im privaten Umfeld, sondern auch im beruflichen Alltag negativ aus“, sagt der Arzt Dr. Alexander Wolff von Gudenberg, der die Kasseler Stottertherapie entwickelt hat. Bei ihm begann das Stottern im Alter von vier Jahren.
Menschen, die stottern, durchlaufen nach seiner Erfahrung häufig über Jahre hinweg einen Marathon diverser Behandlungen, ohne eine dauerhafte Verbesserung des Sprachflusses zu erreichen. Dabei kann die neurologische Schwäche jenseits des Vorschulalters zwar in der Regel nicht mehr geheilt, aber durch Übungsverfahren kompensiert werden. Die Kasseler Stottertherapie beruht auf einer Restrukturierung der Sprechweise. Ihre Wirksamkeit wurde in mehreren Studien nachgewiesen.
„Jetzt oder nie!“
„Meine Sprache ist genauso flüssig geworden, wie ich mir das gewünscht habe – vielleicht sogar noch etwas besser“, sagt Conny Hagenah, Tierärztin aus Risum-Lindholm in Norddeutschland, nahe der dänischen Grenze. Auch sie versuchte als Schülerin die mündliche Mitarbeit möglichst zu umschiffen, Referate mochte sie gar nicht. Während der Promotion vor vier Jahren stieß sie dann in der TK-Mitgliederzeitschrift auf einen Artikel zur Kasseler Online-Therapie: „‚Jetzt oder nie!‘, habe ich damals gedacht, nachdem andere Behandlungen bei mir nie den großen Durchbruch gebracht haben“, so die heute 30-Jährige.
Das disziplinierte Üben im Rahmen der Onlinevariante der Stottertherapie ließ sich für sie ideal mit der Arbeit an ihrer Promotion verbinden, an der sie ebenfalls überwiegend zu Hause arbeitete. Die größte Herausforderung war anfangs, mit Hilfe der Software die neue Sprechtechnik zu erlernen. „Die Software gibt ein Wort vor, das nachgesprochen werden muss. Die Aufzeichnung zeigt dann, ob der Wortanfang schön weich gesprochen wird – so hat die Muskulatur keine Chance, zu verkrampfen. Nur dann akzeptiert die Software das Gesprochene“, erklärt Conny Hagenah.
Kleine Mutproben waren für sie die Anwendungsübungen in Alltagssituationen. Beim sogenannten Umwelttraining hatte sie das Gefühl, viel von ihrem Sprachfehler offen zur Schau stellen zu müssen. Über einen „Knopf im Ohr“ war der Sprachtherapeut der Kasseler Stottertherapie als virtueller Begleiter mit dabei, wenn sie sich beispielsweise im Buchladen nach Büchern erkundigte. Zusätzlich wurde ihr Selbstvertrauen durch Onlinesitzungen in der Gruppentherapie verfestigt.
Ebenso wie Sascha Müller stottert auch sie heute meistens nicht mehr. „Heute muss ich viel telefonieren und mit den Kunden kommunizieren. Dabei gelingt es mir, schön weich und gebunden zu sprechen, und das Stottern schränkt mich nicht mehr ein“, so Conny Hagenah.
https://youtu.be/caOY_UL2g5c