Fiona Theege

Acht Jahre Innovationsreport: Fortschritt durch neue Medikamente?

Bieten neue Arzneimittel tatsächlich einen Mehrwert? Bei welchen Krankheitsbildern geht es voran, bei welchen nicht? Seit acht Jahren untersuchen wir diese Fragen gemeinsam mit der Universität Bremen im Innovationsreport. Herausgeber Prof. Dr. Gerd Glaeske gibt einen Überblick.

Welche Vorteile haben die neuen Medikamente für Patienten und wie fair ist das Verhältnis von Kosten und Nutzen? Für eine anschauliche Darstellung bewertet der Innovationsreport jährlich neue Arzneimittel in Form eines Ampelschemas.

Prof. Dr. Gerd Glaeske ist Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bremen. Er ist bereits das achte Jahr in Folge Herausgeber des Innovationsreports.

Herr Prof. Glaeske, was sind die maßgeblichen Erkenntnisse zu Arzneimittelinnovationen aus acht Jahren Innovationsreport?

Wir haben insgesamt bereits 204 Medikamente bewertet – davon konnten wir aber nur 26, das sind lediglich 13 Prozent, als besonders innovativ einstufen, also in unserer Ampellogik auf grün setzen. Auf der anderen Seite haben wir 50 Prozent der Arzneimittel rot bewertet. Dabei werden Arzneimittel immer über drei Jahre vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Verordnung und neuer Studien ausgewertet: Wir betrachten also im Innovationsreport 2020 die Medikamente, die 2017 neu auf den Markt gekommen sind. Insgesamt überwiegt leider der Eindruck, dass der therapeutische Nutzen vieler neuer Arzneimittel zweifelhaft ist. Die Kosten für neue Medikamente sind über die Jahre immer deutlicher gestiegen, der Nutzen vieler Mittel allerdings nicht im gleichen Maße.

Insgesamt überwiegt leider der Eindruck, dass der therapeutische Nutzen vieler neuer Arzneimittel zweifelhaft ist.

Bei welchen Krankheiten geht es in Sachen Arzneimittel besonders schnell voran?

Seit Beginn des Innovationsreports gibt es viele neue Arzneimittel zur Behandlung von Krebs- oder Autoimmunerkrankungen. Wir beobachten auch, dass im Bereich der seltenen Erkrankungen, zu deren Behandlung oft noch Arzneimittel fehlen, sehr viel geforscht wird. Fakt ist aber auch: Diese sogenannten Orphan Drugs, also den Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen (Orphan Diseases), führen zu erheblichen Ausgabensteigerungen. Den gesetzlichen Krankenkassen fallen für 1,5 Prozent der Verordnungen rund 10 Prozent der Ausgaben an. Das sind 4,5 Milliarden Euro, Tendenz steigend.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ein Beispiel dafür ist die Spinale Muskelatrophie (SMA) bei Kindern. Das ist eine seltene genetisch bedingte Erkrankung, die dazu führt, dass Kinder eine sehr geringe Muskelspannung haben. Diese Erkrankungen verläuft ohne eine Behandlung meist innerhalb der ersten beiden Lebensjahre tödlich. Das dafür entwickelte Arzneimittel Zolgensma® kostet in Deutschland momentan 1,9 Millionen Euro. Anhand der Daten, die Unternehmen veröffentlichen, ist nicht nachzuvollziehen, wie diese Beträge für einzelne Medikamente zustande kommen – Transparenz ist in diesem Bereich längst überfällig.

Welche neuen Erkenntnisse ergeben sich in diesem Jahr aus dem Innovationsreport?

2020 konnten wir erfreulicherweise relativ viele Arzneimittel als innovativ einstufen. Wir haben etwa 25 Prozent positiv bewertet. Das ist das bisher höchste Ergebnis seit der Publikation des ersten Innovationsreportes. Gleichzeitig ist aber auch hier wieder zu erkennen, dass die Arzneimittel deutlich teurer werden. Die Ausgaben der TK für die neu auf den Markt gekommenen Arzneimittel sind insgesamt um 140 Prozent gestiegen. Ein Preisanstieg, den man dramatisch nennen darf. Wenn ein Präparat besonders gut wirkt, dann darf es auch teurer sein. Kosten und Nutzen müssen aber in einem vernünftigen Verhältnis zu einander stehen.

Jeder Innovationsreport hatte bisher einen besonderen Fokus – in diesem Jahr war es die oben beschriebene Spinale Muskelatrophie (SMA). Was war für Sie persönlich das spannendste Thema?

Das spannendste Thema war für mich das Sonderkapitel über Impfungen im Innovationsreport 2019. Denn Impfen ist eine der großen Errungenschaften der Medizin und eine der wirksamsten Präventionsmaßnahmen, um sich vor bestimmten Krankheiten zu schützen. Internationale Vergleiche haben gezeigt: Man muss nicht unbedingt eine Impfpflicht aussprechen, um die Impfquoten zu erhöhen. Man muss aber Überzeugungsarbeit leisten und die Notwendigkeit von Impfungen unterstreichen. Denn Impfungen helfen einem selbst, aber auch der Gesellschaft, bestimmte ansteckende Krankheiten zu vermeiden.

Mit Blick auf die Zukunft: Was muss geschehen, um die Arzneimittelversorgung in den nächsten Jahren nachhaltig zu gestalten?

In den Bereichen, wo wir einen erhöhten Bedarf haben, muss mehr geforscht werden. Wir brauchen zum Beispiel dringend neue Antibiotika, neue Mittel zur Behandlung neurologischen Krankheiten, wie der Alzheimerdemenz oder neue wirksame Psychopharmaka zur besseren Behandlung von Depressionen. In Anbetracht der zu erwartenden geringen Rendite tut sich bei den großen Unternehmen in diesen Bereichen aber sehr wenig – viele Firmen sind z.B. aus der Demenzforschung ausgestiegen. Die Forschung sollte nicht nur in den hochpreisigen Segmenten stattfinden, sondern vor allem den therapeutischen Bedarf der Patienten im Blick behalten.



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