Montagmorgen, 07:00 Uhr: Wir befinden uns auf der Rettungswache des Malteser Hilfsdienstes in Mainz. Jetzt beginnt die 12-Stunden-Schicht der beiden Notfallsanitäter Alexander Pohl und Justin Weisang.
Der erste Notfall – ein brennendes Auto auf der Autobahn. Verletzte? Nicht bekannt. Also rein in den Rettungswagen und Martinshorn an. Wir hoffen das Beste, sind aber auf alles gefasst. Am Einsatzort dann die Entwarnung. Keine Verletzten. Die Feuerwehr löscht bereits. Der Fahrer des Wagens steht am Straßenrand und winkt ab, ihm geht es gut. Er hat jetzt andere Probleme. Ein Abschleppdienst muss her. Nach kurzer Rücksprache gehen wir.
Wenn der Notfall keiner ist
Es folgen an diesem Tag noch vier weitere Einsätze. Keiner davon ist am Ende ein echter Notfall. Aber alle haben etwas gemeinsam: Die Patienten haben ein hohes Alter, mehrere Krankheiten und wirken verunsichert. Wen anrufen, wenn man Schmerzen hat und nicht weiterweiß? Es könnte ja auch etwas Ernstes sein.
Ob das immer so läuft, will ich wissen. „Nein, nicht immer“, entgegnet Alexander Pohl – aber immer öfter. Vor allem der demographische Wandel, mangelnde Gesundheitskompetenz und der unkritische Umgang mit Medien führen zu einer ständig steigenden Einsatzzahl. Wir lehnen keinen Patienten ab! Das wollen und dürfen wir nicht. Viele Patienten schätzen ihren Gesundheitszustand aber falsch ein und blockieren so wichtige Ressourcen. Das kann die Versorgung von Notfallpatienten verzögern.“
Bundesland stellt seine eigenen Regeln auf
Die anstehende Reform der Notfallversorgung von Jens Spahn weckt Hoffnung. „Es ist gut, dass endlich Bewegung in das System kommt. Zurzeit gibt es zwischen den Bundesländern teils große Unterschiede im Bereich der Fort- und Weiterbildung, der Fahrzeugausstattung und Zuständigkeiten. Auch die Kompetenzen der Notfallsanitäter unterscheiden sich je nach Bundesland und teilweise sogar je nach Landkreis. Dabei sollte der Patient im Notfall überall gleich gut versorgt werden“, so Pohl.
Kann die Digitalisierung helfen?
„Ja, kann sie. Erheblich sogar. Die Digitalisierung kann das Notfallsystem sicherer und effizienter machen“, so Pohl.
Als Beispiel wäre eine flächendeckende Satellitenortung und die automatische Ermittlung des jeweils nächsten Fahrzeugs durch den Rettungsleitstellenrechner zu nennen, die ist noch nicht überall flächendeckend eingeführt.
Auch die digitale Erfassung der Einsatzprotokolle und die Übermittlung an die aufnehmenden Krankenhäuser stehen teilweise noch ganz am Anfang.
In den Niederlanden gilt das Motto „Der richtige Patient, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit“. Eine geschulte Fachkraft berät anhand eines Abfragesystems die Patienten bereits am Telefon. Nur im wirklichen Notfall wird die Rettungskette in Gang gesetzt. Ein ähnliches System kommt auch teilweise in Österreich, der Schweiz und Dänemark zum Einsatz. Dieses könnte den Rettungsdienst auch in Deutschland effizienter machen. Zum jetzigen Zeitpunkt muss der hilfesuchende Bürger selbst entscheiden, ob er seine Situation als Notfall einschätzt und die 112 wählt oder sich in einer nicht lebensgefährlichen Situation an den Hausarzt bzw. den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der 116117 wendet. Die Vorteile einer zentralen Rettungsleitstelle liegen hier auf der Hand, der Anrufende muss nicht selbst die Entscheidung über die Behandlungsdringlichkeit treffen. Das erfolgt durch einen Disponenten anhand eines wissenschaftlich fundierten Leitfadens.
19:00 Uhr: Die Schicht ist zu Ende. Auch wenn ich an diesem Tag (Gott sei Dank!) keine lebensbedrohlichen Einsätze mitgemacht habe. Für mich war es aufregend genug.
Redaktioneller Hinweis
Die Reportage entstand noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie.