Warum sind wir alle so viel digital unterwegs?
Weil wir schlicht und ergreifend keine Wahl mehr haben. Was lässt sich denn heute noch analog lösen? Es gibt kaum Tätigkeiten im Büro, die wir nicht online erledigen können oder sogar müssen. Auch im Alltag ist fast alles digital möglich. Man kann seine Einkäufe online tätigen, Geld überweisen und heutzutage nicht mehr ohne Internetzugang studieren. Das ist nicht zwangsläufig ein Problem, viele Menschen sind ja auch gerne online!
Wann wird es denn zum Problem?
Schwierig wird es immer dann, wenn wir nicht mehr entscheidungsfrei sind. Wenn wir beispielswiese Angst haben, Dinge zu verpassen, das so genannte Phänomen der „Fear-of-missing-out“ (FOMO). Oder wenn der Antrieb fehlt, um Alternativen zum ständigen Onlinekonsum in den Alltag einzubauen. Niedergeschlagenheit kann eine weitere Folge sein, die durch Bewegungsmangel hervorgerufen oder zusätzlich verstärkt werden kann. Das sind Faktoren, die wir aus der Depressionserkrankung bereits kennen. Auf rein körperlicher Ebene – und das bemerkt man oft erst spät – können daraus auch Haltungsschäden resultieren. Die direkten und indirekten Folgen des Medienstresses sind also nicht neu.
Sollten wir dann nicht alle schleunigst das Smartphone aus der Hand legen?
Es gibt nicht die „schlechten“ oder die „guten“ Medien. Es kommt darauf an, wie wir sie nutzen. Wir können soziale Netzwerke nutzen, um mit weit entfernten Menschen in Kontakt zu bleiben oder neue Menschen kennenzulernen. Gleichzeitig ermöglichen sie jedoch Cybermobbing oder „hate speech“. Es gibt Medienangebote, die dienen der Stressbewältigung und es gibt Angebote, die können Stress verursachen. Wichtig ist, dass auch Erwachsene lernen, diese Reaktionen wahrzunehmen. Und wir müssen verstehen, welche Mechanismen wirken. Denn Medienangebote sind immer auch Geschäftsmodelle und die neue Währung ist unsere Aufmerksamkeit. Das heißt, ihr Ziel ist es, uns möglichst lange an sie zu binden. Sie sind so konzipiert, dass wir dabei in einen Flow kommen, der unser Belohnungssystem anspricht. Das ist für eine gewisse Zeit auch kein Problem. Es wird immer dann problematisch, wenn wir die Selbstkontrolle verlieren.
Wird dies noch durch die Möglichkeit des „Second Screen“ verstärkt?
Das Problem des so genannten „Second Screen“, also der gleichzeitigen Nutzung mehrerer digitaler Medienangebote, ist nicht zwangsläufig, dass es sich hierbei um digitale Medien handelt. Vielmehr ist es, dass es unser Gehirn überfordert, parallele Handlungen auszuführen. Sie könnten auch gleichzeitig Kochen und Kinder betreuen, das hätte einen ähnlichen Effekt. Nur binden uns digitale Medien eben stärker.
Was raten Sie jemandem, der seinen Medienkonsum reduzieren möchte?
Gehen Sie bewusst und kritisch mit Medien um. Ich werde Medienkonsum nicht verteufeln. Im Gegenteil, ich nutze sie bestimmt häufiger und länger als der Durchschnitt. Die Medien sind eben auch Gegenstand meines Berufes und ich spiele selbst gerne Computerspiele. Wie bereits gesagt, sollte man aber sehr aufmerksam sein, welche Auswirkungen das auf einen selbst hat und man sollte verstanden haben, welche Mechanismen wirken. Nutze ich das Angebot oder nutzt das Angebot mich aus?
Der Klassiker unter den Ratschlägen lautet: Rhythmisieren Sie Ihren Alltag. Setzen Sie sich Pausen und bestimmen Sie Zeiten für bewusste Rituale, wie das gemeinsame Abendessen oder einen Spaziergang. Finden Sie einen Mix aus bewussten online- und offline-Zeiten, der ihnen gut tut.
Was mir darüber hinaus aber noch wichtig ist: Erhöhter Medienkonsum ist die eine Seite der Medaille. Digitale Medien können aber auch Nachteile ausgleichen. Zum Beispiel, indem sie den Zugang zu Informationen, öffentlichen Diensten oder Bildungsangeboten bieten.