Frau Jefcoat, was waren die Beweggründe, am PEKo-Projekt teilzunehmen?
Als wir 2019 von der Hochschule Fulda auf das Präventionsprojekt angesprochen wurden, war uns sofort klar: Da machen wir mit. Grenzüberschreitungen und Gewalt im erweiterten Sinne kommen in allen zwischenmenschlichen Beziehungen vor, insbesondere auch in Pflegeeinrichtungen. Unser Ziel war: Alle Menschen in unserer Einrichtung sollen gewaltfrei leben und arbeiten können.
Was müssen wir uns unter „Gewalt“ in einer Alten- und Pflegeeinrichtung vorstellen?
Als ich noch neu in meinem Beruf war, habe ich schnell eine unangenehme Gewalterfahrung gemacht. Ich musste damals eine psychisch erkrankte Bewohnerin daran hindern, eine stark befahrene Straße zu überqueren. Sie hat sich heftig gewehrt und mich in den Arm gebissen. Mit solchen schwierigen Situationen, wie sie mit Bewohnerinnen und Bewohnern entstehen können, bei denen eine demenzielle oder psychische Erkrankung vorliegt, müssen wir umgehen lernen.
Unter den Mitarbeitenden wiederum ist die häufigste Form der Gewalt nach meiner Erfahrung die verbale Gewalt, also eine unangemessene Kommunikation. Diese Konflikte sind nicht gewollt, sie entstehen durch Zeitdruck und Stress.
Wie haben Sie das Thema Gewaltprävention angepackt?
Ende 2019 haben wir zuerst ein PEKo-Team geschaffen, in dem aus jedem Bereich unserer Einrichtung – Pflege, Betreuung, Verwaltung, Hauswirtschaft und Küche – mindestens eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter vertreten war. In unseren ersten Treffen haben wir unser bereits bestehendes Konzept zur Gewaltprävention angepasst. Schon Anfang 2020 haben wir das neue Konzept allen ausgehändigt und zudem eine Pocket-Version auf den Etagen ausgehängt. Diese Kurzversion erklärt auf einen Blick, dass wir im Anlagenring zu jedweder Form von Gewalt Nein sagen – sei es psychische oder körperliche Gewalt, Vernachlässigung oder Freiheitsentzug.
Wie ging es weiter?
Aus der Arbeit am Gewaltpräventionskonzept entstand die Idee eines Workshops für die Mitarbeitenden. Gemeinsam mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Hochschule Fulda, die uns während des gesamten ersten Jahres unterstützt hat, haben wir hierfür ein tragfähiges Schulungskonzept erarbeitet und konnten bald den ersten Workshop anbieten. In Rollenspielen greifen wir Situationen aus unserem Alltag auf, in denen zwischen Mitarbeitenden und Angehörigen oder zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern und Personal etwas schiefgelaufen ist. Es ist dann Aufgabe der Gruppe, für die Situationen Lösungsansätze zu finden. Das kommt bei den Teilnehmenden gut an, weil sie Ähnliches vielleicht sogar schon selbst erlebt haben. Ein besonderer Glücksfall ist, dass im Sommer 2021 ein Psychologischer Psychotherapeut zu unserem PEKo-Team dazu gestoßen ist. Er spricht aktiv als Fachmann bei den PEKo-Schulungen über deeskalierende Maßnahmen, führt Rollenspiele zu gewaltfreier Kommunikation durch oder gibt vertrauensbildende Anregungen und vieles mehr. Mittlerweile sind wir schon beim sechsten Workshop.
Es ist unglaublich hilfreich, sich über selbst erfahrene, bei anderen beobachtete oder auch über die selbst ausgeübte Gewalt austauschen zu können.
Was hat sich durch PEKo in Ihrer Einrichtung verändert?
Seit dem Abschluss des ersten Projektjahres sind wir im Regelbetrieb, in dem wir das Gelernte täglich anwenden und die neuen Strukturen unseres Gewaltfreiheitskonzepts bewahren. Im Lauf der Zeit ist unser PEKo-Team zu Vertrauenspersonen für alle Mitarbeitenden im Haus geworden. Egal welche Form von Gewalt stattgefunden hat: Es ist unglaublich hilfreich, sich über selbst erfahrene, bei anderen beobachtete oder auch über die selbst ausgeübte Gewalt austauschen zu können. Manchmal muss ein Vorfall auch weiterverfolgt werden, indem das Gespräch mit allen Beteiligten gesucht wird. Gelegentlich wird der Fall sogar mit der Führungskraft oder in einer großen Fallbesprechung behandelt, was aber selten vorkommt.
Auch die bereichsübergreifende Zusammenarbeit hat sich bei uns verbessert, dadurch werden Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Mitarbeitenden aller Bereiche abgebaut. Eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit kann für alle nur positiv sein. Dennoch bleibt PEKo ein Thema, das uns sicherlich noch viele Jahre begleiten wird. Die Sensibilisierung der Mitarbeitenden für akzeptable und nicht akzeptable Verhaltensweisen und die Grenzen dessen, was als Gewalt empfunden wird, ist enorm wichtig und notwendig.
Weitere Informationen
Die Abkürzung PEKo steht für „Partizipative Entwicklung von Konzepten zur Prävention von Gewalt in der stationären Pflege“. Die am Projekt beteiligten Alten- und Pflegeeinrichtungen entwickeln gemeinsam mit den Mitarbeitenden Maßnahmen zur Prävention von Gewalt in der Pflege. Das PEKo-Projekt wird von bundesweit vier Hochschulen wissenschaftlich begleitet, unter anderem von der Hochschule Fulda, und von der Techniker Krankenkasse gefördert.
Eine Langfassung des Interviews finden Sie hier.