Kerstin Grießmeier

Krankenhausreform: Die Schweiz als Vorbild?

Dr. Michael Vetter entwickelte bis 2012 das in der Schweiz genutzte Leistungsgruppensystem mit, das seinen Ursprung im Kanton Zürich hat. Im Interview erklärt der Mediziner, wie sich über Leistungsgruppen Qualität stärken und Bedarfsgerechtigkeit verankern lässt.

Herr Dr. Vetter, Sie haben gemeinsam mit weiteren Expertinnen und Experten die Leistungsgruppen entwickelt, die in der Schweiz genutzt werden. Welches Ziel stand dabei im Vordergrund?

Die Qualität der Versorgung. Als wir das System der Leistungsgruppen für den Kanton Zürich entwickelt haben, konnten wir relativ frei planen, und uns am übergeordneten Ziel ausrichten – die Krankenhausversorgung im Kanton Zürich mit höchstmöglicher Qualität zu organisieren. Zu den wenigen Vorgaben gehörte, dass die zu entwickelnde Einteilung der Leistungsgruppen eindeutig, nachvollziehbar und klar definiert sein musste – und sie musste kompatibel mit den neuen Swiss-DRG sein. Die wurden zu dieser Zeit eingeführt.

Dr. Michael Vetter

Wie wird in der Schweiz entschieden, welche Klinik welche Leistungsgruppen anbieten darf?

Es gibt eine Art Ausschreibungsverfahren durch die Kantone. Die Kliniken können sich per Formular bewerben und müssen erklären, dass sie alle notwendigen Vorgaben erfüllen – sonst gibt es keinen Zuschlag.

Welche Voraussetzungen sind das?

Es gibt generelle Kriterien, die für das ganze Krankenhaus gelten. Beispielsweise müssen alle Patienten unabhängig von Versicherungsklasse und Schweregrad der Erkrankung aufgenommen werden. Und es muss ein Qualitätsmanagement geben. Hinzu kommen Kriterien, die spezifisch pro Leistungsgruppe gelten.

Warum sind spezifische Kriterien für die Leistungsgruppen wichtig?

Für die Versorgungsqualität: Was für eine gute Behandlung notwendig ist, kann von Leistungsbereich zu Leistungsbereich unterschiedlich sein – zum Beispiel können verschiedene Facharztdisziplinen notwendig sein. Auch deren Verfügbarkeit kann unterschiedlich vonnöten sein. Wenn Sie einen Schlaganfall oder ein anderes Gefäßproblem haben, das unmittelbar behandelt werden muss, braucht es eine sehr hohe Verfügbarkeit. Anders ist das etwa in der Radioonkologie, wo Bestrahlungen in der Regel im Vorfeld geplant werden können.

Was passiert, wenn sich in einem Kanton mehr Kliniken als benötigt auf die Leistungsgruppen bewerben?

Das kann passieren. Dann kann der Kanton die für die optimale Versorgung am besten Geeigneten aussuchen. Dabei können die Fallzahlen oder die Erreichbarkeit des Hauses eine Rolle spielen. Oder die Angebotsvielfalt, also ob ein Haus auch weitere, verwandte Leistungsgruppen anbietet – oder ob Kliniken eine besonders gute Verfügbarkeit des Fachpersonals gewährleisten. Diese Kriterien müssen natürlich transparent und rechtssicher sein, weil die Kliniken die entsprechenden Regierungsratsbeschlüsse anfechten können.

Wer kontrolliert die Einhaltung der Vorgaben?

Die Kantone sind dazu verpflichtet – allerdings noch nicht lange. Im Kanton Zürich haben wir Audits durchgeführt, also punktuell geprüft. Bei Meldungen werden die Kantone natürlich auch aktiv.
Zudem wird überprüft, ob sich die Kliniken an den Leistungsauftrag halten. Im Kanton Zürich schauen wir uns alle Fälle an, die Kliniken außerhalb ihrer Leistungsgruppen abrechnen. Manchmal sind diese Fälle begründet, etwa wenn eine zweite Problematik während einer Operation entdeckt und behoben wird. Lässt sich keine solche Begründung belegen, ist eine Rückzahlung fällig.

Das hat sich aber für die Qualität gelohnt und stellt sicher, dass diejenigen, die tatsächlich operieren, die entsprechende Erfahrung haben.

Welche Auswirkungen hatte die Einführung der Leistungsgruppen auf die Versorgungslandschaft?

Das unterscheidet sich von Kanton zu Kanton. In Zürich, wo wir besonders strikt mit den Kriterien sind, gab es Konzentrationen in den Leistungsgruppen, für die Mindestmengen gelten. Ein Beispiel sind Leberoperationen, die hier inzwischen nur noch vier Kliniken durchführen. Vorher machte das quasi jede Klinik, manche allerdings nur zwei- bis dreimal im Jahr. Für die Versorgungsqualität sind solche Gelegenheitseingriffe natürlich nicht förderlich. Die Häuser, die heute noch diese Eingriffe machen, verfügen hingegen über die notwendige Routine und Erfahrung.

Mittlerweile werden die Schweizer Leistungsgruppen seit über zehn Jahren angewendet. Wo waren Anpassungen nötig – und was würden Sie mit dem heutigen Wissen bei der Einführung anders machen?

Das System hat sich bewährt – es ist sehr stabil, insbesondere die Mindestvoraussetzungen wurden kaum verändert. Seit ihrer Einführung gab es geschätzt bei rund fünf Prozent der Leistungsgruppen Anpassungen, etwa weitere Aufteilungen oder Zusammenlegungen. Eine etwas aufwendigere Veränderung gab es bei den Mindestfallzahlen. Bei dem Thema waren wir 2012 sehr zurückhaltend. Inzwischen haben wir nachgeschärft und auch Mindestfallzahlen je Operateur ergänzend zur Mindestfallzahl je Klinik eingeführt. Da steckt viel Arbeit drin, und es gab Widerstände. Das hat sich aber für die Qualität gelohnt und stellt sicher, dass diejenigen, die tatsächlich operieren, die entsprechende Erfahrung haben.

In Deutschland sollen ebenfalls Leistungsgruppen eingeführt werden. Lässt sich das Schweizer System auf Deutschland übertragen?

Was das System selbst angeht, könnte man es 1:1 übertragen, denn es ist qualitätsbasiert und nach medizinischen Kriterien aufgebaut – also unabhängig von gesetzlichen Regularien. Der Schweizer Leistungskatalog muss selbstverständlich in den Deutschen Leistungskatalog übersetzt werden. Auch ist es vielleicht sinnvoll, an der einen oder anderen Stelle etwas anzupassen. Damit es gut funktioniert, ist wichtig, dass der komplette Controlling-Kreis übertragen wird. Die Kliniken müssen wissen, dass Kontrollen – wie bei uns durch die Kantone – jederzeit möglich sind und dann alle relevanten Daten vorgelegt werden müssen.

Zur Person

Dr. med Michael Vetter verantwortete im Rahmen des Projekts Spitalplanung 2012 des Kantons Zürich die medizinische Expertise sowie das Leistungsgruppenkonzept, das mittlerweile in allen Schweizer Kantonen im Einsatz ist. Heute ist er Geschäftsführer der spitalplanung.swiss AG.



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