Jessica Kneißler

„Ein Drittel der Studierenden ist Burnout-gefährdet“

Deutschlands Studierende fühlen sich stark belastet: Corona-Pandemie, steigende Lebenshaltungskosten, Prüfungsdruck und Zukunftsängste hinterlassen ihre Spuren. Prof. Bertolt Meyer (TU Chemnitz) hat die Daten des Gesundheitsreports 2023 für uns ausgewertet. Was sind die wichtigsten Ergebnisse und was ist zu tun?

Herr Prof. Meyer, Sie haben für uns den Gesundheitsreport „Wie geht’s Deutschlands Studierenden?“ ausgewertet. Was ist das signifikanteste Ergebnis?

Der Report hat vor allem eines gezeigt: Die psychische Belastung der angehenden Akademikerinnen und Akademiker hat im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie erheblich zugenommen. Der gesundheitliche Zustand der Studierenden hat sich auch allgemein gegenüber dem Vergleichszeitraum von 2015 deutlich verschlechtert.

Prof. Dr. Bertolt Meyer

Was heißt das konkret in Zahlen?

Wir stützen uns auf Daten aus einer Forsa-Befragung von 1.000 Studierenden im Januar 2023. 68 Prozent von ihnen geben an, aktuell oder in den letzten zwölf Monaten durch Stress erschöpft gewesen zu sein. Auch deutlich mehr als die Hälfte, nämlich 59 Prozent, klagen über Kopfschmerzen, 55 Prozent über Rückenschmerzen, 53 Prozent leiden unter Konzentrationsstörungen. Schlafprobleme gaben 43 Prozent der Befragten an. Der Anteil der Studierenden, die unter diesen Symptomen leiden, hat im Vergleich zur vorherigen Untersuchung stark zugenommen.

Was sind die Gründe für die gesundheitlichen Probleme?

Zu den Hauptbelastungsfaktoren der Studentinnen und Studenten gehören laut Studie Prüfungsdruck (51 Prozent), Mehrfachbelastung durch Studium und Job (33 Prozent), Angst vor schlechten Noten (28 Prozent), schwieriger oder umfangreicher Lernstoff (28 Prozent) sowie finanzielle Sorgen (23 Prozent). Auch die coronabedingten Einschränkungen im Studium und im Alltag wirken nach.

Wie genau zeigen sich die Folgen der Corona-Pandemie?

35 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich durch die Folgen der Pandemie belastet fühlen. Während der Pandemie mussten die Hochschulen innerhalb kurzer Zeit auf die digitale Lehre umstellen. Obwohl die Studierenden die digitale Lehre grundsätzlich positiv beurteilen, zeigt die Befragung, dass die Studentinnen und Studenten doch auch teilweise sehr unter den Begleiterscheinungen leiden wie zum Beispiel fehlenden Sozialkontakten, weniger Bewegung, langen Bildschirmzeiten und Einsamkeit. Allerdings sagen nur zehn Prozent, dass das digitale Studium an sich eine Belastung für sie sei.

Trotzdem ein Alarmsignal.

Ja, denn permanenter Stress und häufige Belastungen können auf Dauer zu Burnout führen. In der Gesamtschau zeigt sich, dass sich 37 Prozent der Studierenden stark emotional erschöpft fühlen. Bei einer vergleichbaren Studie von 2017 lag der Wert für die Studierenden insgesamt noch bei 25 Prozent. Emotionale Erschöpfung gehört zu den Leitsymptomen für drohenden Burnout. Bei den psychischen Belastungen sind Frauen deutlich stärker betroffen als Männer. Sie leiden stärker unter Prüfungsdruck und unter der Doppelbelastung durch Studium und Beruf. Maßgeschneiderte Programme und Präventionsangebote sollten sich deshalb auch explizit an die Studentinnen richten, da es um ihre Gesundheit schlechter bestellt ist als um die ihrer männlichen Kommilitonen. Gleichstellung und Frauenförderung erfordern deshalb auch eine bessere Gesundheitsförderung und Prävention für Frauen.

Die hohe Prüfungslast, einer der Hauptbelastungsfaktoren, bleibt dabei bestehen.

Ja, auch das sollte man hinterfragen. Eine gesundheitsfördernde Gestaltung von Lehrveranstaltungen bedeutet nicht nur eine bewegte Pause: Man könnte beispielsweise weniger einzelne Prüfungen durchführen oder kleinere Prüfungsleistungen in unbenotete Prüfungen umwandeln.

Was muss aus Ihrer Sicht noch passieren, um die Situation der Studierenden zu verbessern?

An den Hochschulen muss insgesamt dringend mehr für die Gesundheit der Studierenden unternommen werden. Sie sind die Fachkräfte von morgen, die gesund ins Berufsleben starten sollten. Wir sprechen dabei von „verhältnis- und verhaltenspräventiven Maßnahmen“, die sowohl auf die Verhältnisse, in diesem Fall die Hochschulen, als auch das persönliche Verhalten zielen. Ein Beispiel für sogenannte verhältnispräventive Maßnahmen wäre es, ergonomische Stühle und Tische in Veranstaltungsräumen anzuschaffen: Hier sehen die Befragten großen Verbesserungsbedarf. Da der Stress bei den Studierenden deutlich zugenommen hat, bieten sich in der Verhaltensprävention neben Sportkursen beispielsweise auch mehr Angebote im Bereich Stressprävention und mentale Gesundheit an.

Zur Person

Bertolt Meyer ist seit 2014 Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz. Er forscht u. a. zur Zukunft der Mensch-Maschine-Kollaboration und den gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung, zu Diversität und Stereotypen und zu psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz.



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