Die ambulanten Versorgungsdaten der TK zeigen eine leichte Steigerung der Migräne- und Kopfschmerzdiagnosen in den letzten Jahren. Welche Faktoren könnten zu dieser Entwicklung beigetragen haben?
Früher wurden viele Kopfschmerzformen fälschlicherweise anderen Ursachen zugeschrieben. Das hat dazu geführt, dass man Kopfschmerzen gar nicht behandelte oder im Rahmen der Selbstmedikation therapiert hat. Heute gibt es deutlich präzisere Kopfschmerzklassifikationen. Diagnosen werden sachgerecht kodiert und zeitgemäße Behandlungen eingeleitet – was auch dazu führt, das Betroffene eher zu einer ärztlichen Sprechstunde gehen. Andererseits können Veränderungen im Lebensstil oder von Umwelteinflüssen dazu führen, dass tatsächlich mehr Menschen an Migräne oder Kopfschmerzen erkranken. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Häufigkeit von Migräne-Diagnosen im Schulalter in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat.
Was sind die häufigsten Kopfschmerz- und Migräneformen und wie äußern sie sich?
Es gibt heute mehr als 400 verschiedene Kopfschmerzarten: Über 58 Prozent aller Kopfschmerzen zählen als Spannungstyp mit beidseitigem, drückendem Schmerz. Sie entstehen durch Störungen in den schmerzverarbeitenden Teilen des Nervensystems. Die zweithäufigste Form ist die Migräne – eine anfallsweise Erkrankung mit starken, oft einseitigen Schmerzen. Migräne wird hingegen durch genetische Faktoren verursacht, die das Nervensystem aufgrund bestimmter genetischer Veranlagungen empfindlicher machen. Bei übermäßiger Aktivierung und Belastung des Nervensystems entsteht ein Energiedefizit, das zu einer zeitweisen Störung der Nervenfunktionen führt. Das kann eine Entzündungsreaktion und eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit der Hirnhäute auslösen.
Reizüberflutung, Bildschirmzeit, Bewegungsmangel und Co: Sind Kopfschmerzen ein Phänomen moderner Zeiten?
Kopfschmerzen und Migräne gibt es schon lange. Unser heutiger Lebensstil kann das Risiko, darunter zu leiden, aber definitiv erhöhen. Alles zu Schnelle, alles zu Viele, alles zu Plötzliche, alles zu Intensive kann Migräneattacken auslösen. Auch zu wenig Bewegung und eine ungesunde Ernährung können Kopfschmerzen fördern. Glücklicherweise hat die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gemacht, die unser Verständnis dieser Erkrankungen vertieft haben und zu wirksameren Behandlungen geführt haben.
Frauen sind häufiger von Kopfschmerzen und Migräne betroffen als Männer. Woran liegt das?
Frauen leiden zwei bis drei Mal häufiger an Migräne als Männer, was auf hormonelle Unterschiede und genetische Faktoren zurückzuführen ist. Das weibliche Gehirn reagiert intensiver auf sensorische Reize, was die erhöhte Anfälligkeit für Migräne bei Frauen erklären kann. Im Gegensatz dazu gibt es bei Spannungskopfschmerzen keine wesentlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Nehmen Frauen und Männer Schmerzen unterschiedlich wahr?
Beruflicher oder familiärer Stress, Störungen des seelischen Gleichgewichts, Angst und Depressivität wirken sich bei Frauen deutlich stärker auf die Schmerzen aus als bei Männern. Auch das ist hormonell bedingt: Während Testosteron die Schmerzempfindlichkeit reduziert, bremsen Östrogene die Schmerzhemmmechanismen.
Mit den Schmerzen gehen Frauen und Männer zudem unterschiedlich um. Frauen suchen schneller soziale und ärztliche Unterstützung oder nehmen eher Medikamente. Männer neigen hingegen dazu, Schmerzen nicht so ernst zu nehmen oder sie anders zu interpretieren, was oft dazu führt, dass sie sich erst spät Hilfe suchen. Das kann Schmerzen aber verschlimmern und verlängern. Daher ist die schmerztherapeutische Versorgung bei Männern oft intensiver als bei Frauen.
Die Migräne-App hilft Betroffenen nachweislich ihre Schmerztage zu reduzieren. Kürzlich gab es ein Update. Welche neuen Feature bietet die App jetzt?
Die Migräne-App ist mit über 700.000 Downloads das mit Abstand am häufigsten genutzte digitale Werkzeug zur Begleitung der individuellen Migräne- und Kopfschmerztherapie in Deutschland. Das neueste Update unterstützt den persönlichen Therapieverlauf noch besser, zum Beispiel durch detaillierte Sprechstunden-Checklisten oder Videoclips zu Akut- und Präventivtherapien. Die neuen physiotherapeutische Übungen für Kopf-, Nacken und Schultermuskulatur können vorbeugend helfen. Zusätzlich gibt es neben der Kopfschmerzspezialisten-Suche die Möglichkeit den weiblichen Zyklus zu dokumentieren, um dessen Einfluss auf Migräne zu analysieren.
Weitere Details
Mehr Informationen zu der Migräne-App gibt es hier.