Silvia Wirth

Elektronische Patientenakte: „Ein wesentlicher Schritt zu einer besseren Patientenversorgung“

Unfallchirurg Prof. Dr. Felix Walcher ist überzeugt, dass eine bessere Datennutzung die Versorgung von Patientinnen und Patienten entscheidend verbessern kann. Im Interview erzählt er, wie die elektronische Patientenakte (ePA) Ärztinnen und Ärzte bei der Behandlung unterstützt und warum die Digitalisierung so wichtig ist für ein resilientes Gesundheitssystem.

Mit den Digitalgesetzen, die Anfang des Jahres beschlossen wurden, geht es bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens entscheidende Schritte voran. Sie arbeiten unter anderem in der Notfallmedizin – wo ergeben sich hier konkret Verbesserungen für Patientinnen und Patienten?

Wenn ein Patient oder eine Patientin zu uns in die Notaufnahme kommt, dauert es aktuell zwei bis drei Tage, bis wir die vollständige Patientengeschichte, die Medikation oder etwa wichtige Ergebnisse von Voruntersuchungen erhalten. Mit einer vollständigen elektronischen Patientenakte hätten wir innerhalb kürzester Zeit Einblick in diese Daten. Ich hatte gerade erst einen Fall eines betagten und dementen Patienten, der in der Nacht eingeliefert wurde und Blutverdünner genommen hatte. Uns fehlte jedoch die entscheidende Information, warum er das Medikament nahm. Hatte er Vorhofflimmern, wurde eine Herzklappe implantiert oder hatte er gegebenenfalls eine Thrombose? Das musste zunächst abgeklärt werden, bevor wir den Patienten operieren konnten. Mit der Information in einer elektronischen Patientenakte wäre innerhalb von Minuten klar, wie wir den Patienten optimal versorgen.

Prof. Felix Walcher ist Direktor der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Magdeburg. Copyright: Universitätsklinikum Magdeburg

Ab 2025 sollen alle Versicherten in Deutschland eine elektronische Patientenakte (ePA) bekommen. Wer nicht möchte, kann widersprechen. Wie stehen Sie zur Opt-out-Regelung bei der ePA?

Ich halte die die Opt-out-Regelung für absolut richtig, weil wir ansonsten eine inkonsequente Nutzung der Akte in Deutschland hätten. Je stringenter die ePA genutzt wird, je mehr Patientinnen und Patienten ihre ePA aktiv führen, desto effektiver ist sie für die Medizin. Es ist ein wesentlicher Schritt zu einer besseren Patientenversorgung, dass ich mich als Mediziner darauf verlassen kann, dass der Großteil der Patienten eine gefüllte Akte hat. Das wird eine Mammutaufgabe werden und man muss sich im Klaren darüber sein, dass die ePA ein lernendes System ist. Wir werden zum 15.1.2025 keine fertige Akte haben, sondern alle Akteure müssen gemeinsam darauf hinwirken, dass die ePA stetig nachgebessert wird.

Obwohl die Akte in anderen Ländern bereits Standard ist und als selbstverständlicher Teil des Behandlungsprozesses angesehen wird, herrscht in Deutschland Skepsis gegenüber der elektronischen Patientenakte. Wie begegnen Sie Patientinnen und Patienten, die die Akte ablehnen?

Entscheidend für den Erfolg der Akte ist die Aufklärung. Jeder und jede Einzelne muss den Mehrwert für seine und ihre eigene Gesundheit durch die Datennutzung verstehen. Gleichzeitig muss die ePA maximalen Datenschutz sicherstellen. Ich denke, dass nur wenige widersprechen, wenn sie den Nutzen der Akte für sich persönlich verstanden haben.

ePA für alle

Ab 2025 bekommen alle gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland eine elektronische Patientenakte (ePA). Wer die Akte nicht möchte, kann widersprechen. Diese sogenannte Opt-out-Regelung soll den Zugang zur Akte vereinfachen. In einigen europäischen Nachbarländern findet die Opt-out-Regelung bereits Anwendung und hat zu einer hohen Verbreitung der ePA in der Bevölkerung geführt. Hier gibt es alle Informationen zu TK-Safe, der elektronischen Patientenakte der TK.

Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) ändert sich für Sie als Notfallmediziner ein entscheidender Punkt. Sie dürfen Daten für die Wissenschaft nutzen – ohne explizite Einwilligung des Patienten oder der Patientin. Warum ist diese Änderung so wichtig?

Bislang waren die Einwilligungsprozesse für die Datenverwendung in der Forschung sehr komplex. Wir brauchten eine explizite Zustimmung des Patienten, um überhaupt Daten erheben zu dürfen und das dann auch nur für einen sehr eingegrenzten Forschungszweck. Das hat uns in der Wissenschaft sehr eingeschränkt, besonders in der Notfall- und Intensivmedizin. In der Regel kommen Menschen mit starken Schmerzen zu uns oder sind sogar bewusstlos. Da steht die Behandlung an erster Stelle und wir können keine umfangreiche Einwilligungserklärung zur Datennutzung einholen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass wir durch das GDNG endlich bundesweit einheitliche Regelungen zur gemeinsamen Nutzung und Verarbeitung von Daten haben. Vorher hatten wir einen föderalen Flickenteppich, jedes Bundesland hat andere Datenschutzverordnungen.

Entscheidend für den Erfolg der Akte ist die Aufklärung. Jeder und jede Einzelne muss den Mehrwert für seine und ihre eigene Gesundheit durch die Datennutzung verstehen.

Was bedeutet das für die Patientinnen und Patienten?

Wir dürfen nun die Behandlungsdaten von Patientinnen und Patienten anonymisiert für die Forschung nutzen. Dadurch bekommen wir bessere Daten über Symptome und Krankheitsverläufe und können daraus Schlüsse für Diagnostik und Behandlung ziehen. Wir lernen anhand dieser Daten, wie wir Patientinnen und Patienten noch besser behandeln können. Hier helfen die Daten jedes und jeder Einzelnen weiter. Es braucht eine sehr große Anzahl von Datensätzen – wir reden hier von Millionen – um mithilfe der Daten forschen zu können. Das ist eine Investition in die Zukunft und ein Meilenstein für die Versorgungsforschung, die letztlich jedem einzelnen Patienten zugutekommt.

Unfallchirurg Walcher bei der Arbeit. Copyright: DIVI

Dann fehlten Ihnen jedoch bislang Daten. Was bedeutet das aktuell für die Forschung in der Notfallmedizin?

Wir haben jetzt zwar das Gesetz, aber wir haben bislang noch viel zu wenig Daten für die Forschung in Deutschland. Dieses Versäumnis müssen wir jetzt nachholen. Wir brauchen Klinikinformationssysteme, die standardisierte Daten erheben. Das muss jetzt vom Gesetzgeber endlich reguliert werden. Die Forschung krankt jetzt an den Fehlern der Gesundheitspolitik in den letzten Dekaden, als versäumt wurde, Standards für die Dokumentation von Daten zu setzen.

Sie sprechen die sogenannte Interoperabilität von Daten an.

Richtig, die Interoperabilität ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Digitalisierung. Das bedeutet, dass alle Daten nach einheitlichen Standards erfasst werden. Egal ob in der Hausarztpraxis, im Rettungswagen oder im Krankenhaus: der Blutdruck als ein banaler Wert muss beispielsweise immer gleich dokumentiert werden, damit die Werte vergleichbar sind. Das mag zunächst simpel erscheinen, es gibt jedoch enorm viele unterschiedliche Möglichkeiten, den Blutdruck zu dokumentieren. Wenn wir eine einheitliche Datenerfassung von der Alarmierung über das Rettungswesen und Aufnahme sowie im weiteren Verlauf der Behandlung in der Klinik haben, also eine digitale Rettungskette, hilft uns dies enorm. Wir haben im Notfall sofort alle wichtigen Behandlungsdaten abrufbereit, das spart Zeit und kann Leben retten, wenn es um Minuten geht.

Zur Person

Prof. Dr. Felix Walcher ist seit 2014 Direktor der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Magdeburg. Er war als Gesamtleiter des AKTIN-Verbundprojekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung führend für den Aufbau eines nationalen Notaufnahmeregisters verantwortlich. Prof. Walcher ist seit 2023 Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).



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